


📸 UMGEFALLENE BÄUME NACH DEM AUFPRALL
Am Morgen des 30. Juni 1908 bot sich in einer abgelegenen Gegend Ostsibiriens ein seltsamer Anblick am Himmel. Er begann mit einer Säule aus blauem Licht, die sich durch die Atmosphäre über dem Fluss Podkamennaya Tunguska bewegte. Minuten später erhellte ein Blitz den Horizont und ein ohrenbetäubender Knall erschütterte die Erde. Dieses als Tunguska-Ereignis bekannte Phänomen sollte als das größte Einschlagsereignis der aufgezeichneten Geschichte in die Geschichte eingehen. Die Druckwellen der Explosion waren weltweit messbar. Schätzungsweise 80 Millionen Bäume wurden umgestürzt und noch Nächte danach war der Himmel über Eurasien glühend zu sehen. Trotz des gewaltigen Einschlags bleibt vieles am Tunguska-Ereignis rätselhaft, sogar seine genaue Ursache.

📸 TUNGUSKA IMPACT ART
Der Fluss Podkamennaja Tunguska fließt 1600 Kilometer tief in der russischen Taiga. Diese Region ist schwer zu erreichen, doch seit über einem Jahrhundert begeben sich Wissenschaftler dorthin, um das Ereignis zu untersuchen und Beweise dafür zu finden. 1921 begann das erste Forscherteam unter der Leitung des Mineralogen Leonid Kulik mit der Untersuchung des Gebiets. Ihre erste Expedition führte sie nicht zur Einschlagstelle, doch sie kamen zu dem Schluss, dass das Ereignis von einem Meteoriten verursacht wurde. Auf nachfolgenden Reisen fand Kuliks Team das Zentrum der Zerstörung, ein acht Kilometer langes Waldstück voller verbrannter, entzweigter Bäume. Seltsamerweise wurde keine Einschlagstelle gefunden.


📸 BAUMFALLKARTE DER EINSCHLAGSSTELLE
Weitere Untersuchungen des Fundorts ergaben, dass zwar kein Krater vorhanden war, jedoch Hinweise auf einen außerirdischen Körper. Mikroskopisch kleine Kugeln aus Silikaten und Magnetit wurden im Boden und in einigen Bäumen gefunden. Dieses Metall wies einen hohen Nickel-Eisen-Anteil auf, eine Eigenschaft, die häufig bei Meteoriten zu finden ist. Die geringe Größe der Rückstände und das Fehlen eines Kraters lassen darauf schließen, dass das Objekt in der Luft explodierte und zerfiel, bevor es auf dem Boden aufschlug. Daher ist wenig über das eigentliche Objekt bekannt, das hinter dem Tunguska-Ereignis steckte.
Es wird spekuliert, dass es sich bei dem Objekt um einen Meteoriten oder einen etwa 60 Meter großen Steinkometen gehandelt haben könnte. Die Höhe der Explosion ist ungewiss, sie muss aber mindestens 5 Kilometer betragen haben. Auch die Stärke der Explosion ist unbekannt; Schätzungen zufolge handelte es sich um drei bis 30 Megatonnen TNT, also mehr als tausendmal stärker als die Explosion in Hiroshima. Bekannt ist hingegen das betroffene Gebiet. Es zerstörte über 2.150 Quadratkilometer Wald und hinterließ eine erhebliche Menge Schwebeteilchen in der Atmosphäre. Eine Explosion dieser Größenordnung hätte problemlos eine Metropolregion zerstören können.

📸 TUNGUSKA IMPACT ART
Auch über ein Jahrhundert später rekonstruieren Wissenschaftler das Ereignis noch immer, um mehr über den Einschlagskörper herauszufinden. Das Fehlen großer Asteroidenfragmente stützt die Kometenhypothese, ebenso wie die Tatsache, dass Kometenmaterial spröder ist und in etwa 10 km Entfernung eher vollständig in der Atmosphäre zersplittert. Augenzeugen berichteten später, dass sich das Objekt mit 28 Grad oder weniger bewegte; zusammen mit der Spur umgestürzter Bäume lassen sich Flugbahn und Einschlagswinkel rekonstruieren. Kurioserweise weisen die Bäume entlang der Flugbahn zum Einschlagsort keine starken Schockwellen auf – ein weiterer Punkt für die Hypothese des spröden Kometen.


📸 EINE EVENKI-FAMILIE AUF DER RENTIERE-REISE (1907)
Da es sich um eine abgelegene Gegend handelte, gab es nur minimale Sachschäden und geringe Menschenverluste, doch die Region blieb nicht verschont. Zu den Verletzungen durch ein solches Ereignis können Wärmestrahlung aufgrund der großen Hitze, Gehirnerschütterungen und Lungenschädigungen durch Druckwellen, Umweltverschmutzung durch äußere Einflüsse und natürlich umherfliegende Gegenstände gehören. Es gibt nur wenige Zeugenaussagen, doch eine russische ethnografische Mission aus dem Jahr 1926 dokumentierte zwei Zeugenaussagen über schwere Verletzungen, die in direktem Zusammenhang mit dem Aufprall standen. Unter anderem wurde ein Mann gegen einen Baum geschleudert, was zu Infektionen und Tod führte. Diese Berichte stammen vom Nomadenvolk der Ewenken, das in der Region lebt.

📸 DER TSCHELJABINSK-FEUERBALL
Die plötzliche und zerstörerische Natur des Tunguska-Ereignisses gibt Anlass zur Sorge über die Kraft künftiger Meteoriteneinschläge. Die Geschichte belegt, dass massive Meteoriten in antiken griechischen, südamerikanischen und babylonischen Geschichten den Himmel erleuchteten. Ein Einschlag der Tunguska-Klasse wird auf ein Jahrtausendereignis geschätzt, d. h. die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Einschlags ist relativ gering. Dennoch ereignete sich 2013 über Tscheljabinsk (Russland) eine Luftexplosion mit etwa der halben Kraft der Tunguska-Explosion. Sie verursachte erhebliche Schäden und lässt die Möglichkeit eines weiteren zerstörerischen Einschlags in der Zukunft auf unserem Planeten aufkommen.

Weitere Informationen
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